Die Initiative Melbinger für Afrika ist aus einer großen Vision heraus entstanden: der Vision von einer Welt, in der alle Menschen lesen und schreiben können. Einer Welt, in der alle Menschen Zugang zu einem Bildungssystem haben. Einer Welt, in der alle Menschen die gleichen Chancen haben.

Melbinger für Afrika hat in Kenia wesentlich zur Erweiterung des Bildungszugangs beigetragen: sowohl durch den Bau und Betrieb von Schulklassen in Emorogi und Ilkujuka, als auch durch das Patenschaftsprogramm, durch das Mädchen und Buben aus prekären Verhältnissen ein Schulabschluss ermöglicht wird.

Als Patin von Nashipai bin ich der Meinung, dass es ganz besonders wichtig ist, junge Mädchen zu erreichen, denn sie zählen leider noch immer zu den stark benachteiligten Gruppen, insbesondere was Rechte, Gleichstellung und Selbstgestaltungsmöglichkeiten betrifft. Das Empowerment dieser Mädchen ist wichtig,  damit sie sich Wissen und Befähigung aneignen können, die sie als Voraussetzung für ein selbstbestimmtes und uneingeschränktes Leben benötigen.

Unter dem Begriff „Empowerment“ (englisch für: Ermächtigung, Übertragung von Verantwortung) werden Maßnahmen verstanden, die den Grad an Autonomie und Selbstbestimmung im Leben von Menschen erhöhen sollen und die es ihnen ermöglichen, ihre Interessen eigenmächtig, selbstverantwortlich und selbstbestimmt zu vertreten. (Auszug Definition Wikipedia)

Nashipai war eines von 3 Mädchen im Patenschaftsprogramm von Melbinger für Afrika, das 2010 ins Leben gerufen wurde. Von Beginn an habe ich dieses Mädchen in seiner Ausbildung unterstützt.  Nashipai war keine begnadete Schülerin. Doch trotz aller Lernschwierigkeiten und schlechten Zeugnisse hatten wir alle das Ziel im Auge, dass sie durch eine abgeschlossene Schulbildung befähigt sein würde, ein autonomes, selbstgestaltetes Leben führen zu können. Doch es kam anders.

2016 hat Nashipai im Alter von 17 Jahren ihr erstes Kind bekommen, einen Sohn namens Titus. Das Schuljahr musste sie bereits am Beginn ihrer Schwangerschaft abbrechen, denn in Kenia dürfen schwangere Mädchen die Schule nicht besuchen. Also: Auszeit/ Baby-Pause. Ich hatte immer noch die Hoffnung, dass Nashipai nach ihrer „Karenzzeit“ ihr letztes Schuljahr abschließen oder sich für einen berufsbildenden Lehrgang entscheiden würde. Peter und Katrin haben die junge Mutter und ihr Baby  bei  ihrem Aufenthalte in Kenia besucht und sie wissen lassen, dass sie meine volle Unterstützung hat. Leider ist danach der Kontakt zu Nashipai abgebrochen und es gibt die Vermutung, dass sie noch ein Kind bekommen hat und verheiratet ist. Mittlerweile glaube ich nicht mehr, dass sie jemals wieder auf die Schulbank zurückkehren wird.

Nashipai ist leider im Projekt Melbinger für Afrika nicht das einzige Mädchen mit diesem Schicksal. – ob gewollt oder ungewollt. Für Katrin und Peter eine Entwicklung, die sie mit Besorgnis sehen und die mitunter auch für ein schlechtes Gewissen gegenüber den engagierten Patinnen und Paten ihrer Mädchen sorgt.

Ich möchte die beiden auf diesem Wege beruhigen. Dieses bewundernswerte Projekt ist komplex und ressourcenintensiv, und vor allem in einem Kulturkreis angesiedelt, in dem es (aus unserer Sicht) noch rückständige Gesellschaftsmuster gibt, die sich nicht von heute auf morgen ändern lassen. Da kann und darf auch einmal etwas Ungeplantes passieren, das nicht den Projektzielen entspricht, neue Herausforderungen bringt und vielleicht auch gegensteuernde Maßnahmen bedingt. Aber wir dürfen meiner Meinung nach nicht den Fehler machen, allzu schnell von einem „Rückschlag“ oder von „Scheitern“ zu sprechen.

Ja, es war nicht geplant, dass Nashipai die Schule abbricht. Ich hätte ihr (und nicht mir!) eine gute und abgeschlossene Ausbildung gewünscht, die ihr neben der Rolle als Frau und Mutter andere Optionen und eventuell ein unabhängigeres Leben ermöglich hätten. Aber gerade weil laut UNO weltweit 750 Millionen Frauen und Mädchen unter 18 Jahren heiraten, müssen wir diese Gruppe weiter unterstützen und stärken und nachhaltige Aufklärungsarbeit betreiben. Damit große Visionen einmal Realität werden.

„Die volle Entfaltung des menschlichen Potenzials und eine nachhaltige Entwicklung sind nicht möglich, wenn einer Hälfte der Menschheit die vollen Menschenrechte und uneingeschränkte Chancen weiter vorenthalten werden.“ (Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung)

Ursula Roittner – Patin von Nashipai von 2010 bis 2016